Der Fachkräftemangel ist seit Jahren der bestimmende Faktor für die Der Fachkräftemangel bleibt seit Jahren der Einflussfaktor für das Recruiting und zeigt Auswirkungen auf alle Unternehmensebenen und Mitarbeiter-Level – So müssen Unternehmen jetzt reagieren, um die richtigen Führungskräfte für sich zu gewinnen.

By von Andreas Schnittker

Ursprünglich veröffentlicht auf Trendreport.de 28.02.22

Ein Beitrag von Sylke Sergel, Partner bei der internationalen Personalberatung Boyden Executive Search

Bereits 1997 wurde von der Beratungsgesellschaft McKinsey der „War for Talents“ ausgerufen. Seit nunmehr 25 Jahren hat dieses Thema Auswirkungen auf das Berufsleben vieler meiner Kollegen und mich bei der Suche nach den passenden Führungskräften von heute und morgen.
Dabei wurde dieser „Krieg um Talente“ mal leise in einzelnen Branchen und Berufssparten und mal laut geführt. In diesem Zusammenhang waren häufig die jungen Talente, die frisch von der Uni kommenden High-Potentials, Ziel solcher „Schlachten“, später eher bestimmte Mitarbeiter eines Unternehmensbereichs, wie der IT. Am Beispiel der IT zeigt sich auch, dass der Fachkräftemangel anfangs von Einstiegslevel-Positionen ausging, sich dieser Mangel aber über die Jahre dann auch bei Führungskräften mit entsprechendem Know-how manifestiert hat. Eine logische Entwicklung, wenn man bedenkt, wie Karrierewege funktionieren.

Wenn ich mich heute, also ein Vierteljahrhundert nach den ersten Anzeichen des „War for Talents“, umschaue, scheint sich daher auf den ersten Blick nicht viel verändert zu haben: Kaum ein anderes Thema beherrscht im Recruiting ähnlich stark die Agenda wie der Fachkräftemangel und seine Auswirkungen auf die Führungspositionen und Manager-Skills. Selbst im privaten Umfeld ist das Phänomen allgegenwärtiges Gesprächsthema, in jedem Schaufenster und Restaurant hängt ein Aushang und in den Firmen hat sich ohnehin schon längst „die große Not fehlender Talente“ zur Herausforderung für Aufsichtsräte, das Management und HR entwickelt. Auch die Medien haben die Problematik für sich entdeckt und weisen in regelmäßigen Abständen auf diesen branchen- und Positionen-übergreifenden Mangel hin. Zeit also, dieser Entwicklung einmal tiefer auf den Grund zu gehen und die tatsächliche Bedeutung des Fachkräftemangels für die deutsche Wirtschaft und damit auch das HR-Management des einzelnen Unternehmens zu analysieren.

Wenn der Fachkräftemangel auf Führungsebene zum Bottleneck wird

Laut Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung waren 1997 in Deutschland 37,7 Millionen Personen erwerbstätig, 2019 waren es 45,3 Millionen. Das ist ein Anstieg um gut 20 % und seitdem unangefochtener Höchstwert. Der guten Ordnung halber sei erwähnt, dass der Anteil der Erwerbstätigen an der Gesamtbevölkerung im gleichen Zeitraum von 46 % auf 54 % gestiegen ist, das sind immerhin knapp 17 % mehr. Als Gründe für den Anstieg werden die stabile Konjunktur in diesem Zeitraum, die starke Zunahme der Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen sowie der Strukturwandel hin zur Dienstleistungsgesellschaft genannt. Dann kam die Corona-Pandemie. Schaut man sich die Zahlen des dritten Quartals 2020 an, hatten wir in Deutschland 44,7 Millionen Erwerbstätige. Saisonbereinigt bedeutet das einen Rückgang um ca. 1,5 %, faktisch sprechen wir von 688.000 Personen. Tatsache ist, dass sich aus diesem Pool an Experten und Führungskräften talentierte Fachkräfte entwickeln (sollten). Wenn es folglich bereits auf Mitarbeiterebene an geeigneten Kandidaten mangelt, wird der Fachkräftemangel für die fachliche und disziplinarische Führungsebene erst recht zum Bottleneck. Die Lage ist also komplex. Zumal sich die Arbeitswelt rasant verändert und immer andere Skills auf den Führungsebenen in immer kürzeren Abständen erforderlich sind.

In Unternehmen wird oftmals sehr schnell der HR-Bereich für dieses Ungleichgewicht verantwortlich gemacht, wenn sich nicht die geeigneten Kandidaten für zu besetzende Experten- und Führungsfunktionen finden lassen: Die Personalabteilung sei schlicht nicht schnell, kreativ oder auch innovativ genug, heißt es dann häufig. Gleichzeitig sind viele Personalbereiche – wenn es diese denn überhaupt in der Organisation gibt – gerade im Employer Branding, Talent Management und Succession Planning nicht mehr oder nach wie vor nicht State of the Art und adressieren häufig nicht explizit die Zielgruppe der Führungskräfte. In diesem Kontext erinnere ich mich noch gut an die Credos meines Berufsanfangs: „Die Einstellung von Führungskräften ist Chefsache“. „Und von höchster strategischer Relevanz“. Diese Herangehensweise hatte und hat den großen Vorteil, dass der Auswahl und Gewinnung neuer Führungskräfte oberste Priorität eingeräumt wird, kurzfristig ausreichend Zeit für ein umfassendes gegenseitiges Kennenlernen in unterschiedlichen Konstellationen und Kontexten zur Verfügung steht, die Entscheider persönlich am Verhandlungstisch sitzen und der Prozess zeitnah mit einer Vertragsunterschrift finalisiert werden kann.

Denn wie wir mittlerweile alle wissen: Post and Pray funktioniert schon lange nicht mehr. Erst recht nicht für die Top-Führungsebene. Nur wenn Unternehmen die hoch qualifizierten Führungskräfte von heute und morgen von sich als attraktivem Arbeitgeber überzeugen können, werden sie eine Chance im harten Wettbewerb haben. Dafür bedarf es Sichtbarkeit als Unternehmen und der Leitfiguren im Markt, Professionalität bei der Ansprache, ein attraktives Angebot aus Gehalt und Verantwortungsgestaltung sowie eine hohe Reaktionsgeschwindigkeit, wenn passende Kandidaten Interesse zeigenEine kluge Strategie, verbunden mit der Stärkung der internen Ressourcen sowie gezielter Unterstützung durch externe Personalberatungen für die kritisch-relevanten Top-Positionen, sind unverzichtbare Erfolgsfaktoren. Professionelles Personalmanagement wird demnach insbesondere unter Berücksichtigung des Fachkräftemangels für die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens zum entscheidenden strategischen Schlüsselelement. Daher muss Recruiting in Zukunft unternehmensintern wieder höchste Priorität genießen. Die individuelle Ausgestaltung kann dabei vielfältig sein. Aber eines ist unumstößlich: Recruiting muss wieder genau das werden, was es anfangs war: „Chefsache“.


Sylke Sergel verfügt über langjährige Erfahrung in der Besetzung von Top-Führungspositionen. Als international agierende Recruiting-Expertin und erfolgreiche Personalmanagerin verschiedener Unternehmen hat sie einen starken Business-Fokus, umfassendes Wissen in HR, branchenübergreifende Erfahrung in Unternehmens- und Organisationstransformationen sowie im Aufbau von High Performance-Teams und in der Gestaltung einer auf die Zukunft ausgerichteten Unternehmenskultur.

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