Im Dow Jones-Business-Newsletter ‚Maschinen und Fahrzeuge‘ gibt Norbert Eisenberg seine Einschätzung zum aktuellen Thema der Transformation in der Automobilindustrie: Umstellung auf Elektromobilität, Resilienz-Strategie der Hersteller, veränderte Anforderungen der Supply Chain, Entwicklung von neuen fahrzeugbezogenen Dienstleistungen als Wettbewerbsfaktor, um nur die wichtigsten Bereiche zu nennen.

By Norbert Eisenberg

Dieser Artikel erschien ursprünglich online in Dow-Jones-Business-Newsletter Maschinen & Fahrzeuge, Nr. 55 vom 21. März 2022

MÜNCHEN (ma) -- Dass sich die Automobilindustrie einschließlich der Zulieferer großen Herausforderungen der Transformation gegenübersieht, ist viel diskutiert und erkannt. Im Vordergrund stehen dabei in der Regel die Umstellung auf Elektromobilität und die gegenwärtigen Probleme in der Supply Chain - Corona-krisenbedingt und noch einmal verstärkt durch den Krieg in der Ukraine. Bei den europäischen OEMs haben die Produktionseinschränkungen und die hohen Subventionierungen der Elektrofahrzeuge zu deutlichen Gewinnsteigerungen geführt - ganz anders bei den meisten Lieferanten, die sich sowohl hohen Kostensteigerungen wie reduzierten Abnahmemengen gegenüber sehen - auf eine faire Reaktion ihrer Kunden warten sie - abhängig von ihrer Verhandlungsmacht - zumeist noch. Diese Probleme werden sich sicher normalisieren - der fein austarierte, auf im höchsten Maße zuverlässige Lieferketten angewiesene globale Footprint wird aber bereits heute in Frage gestellt und es wird zu einer wieder stärkeren regionalen Konzentration von gesamten Prozessketten - vom Zulieferer bis zum Abnehmer - kommen.

 

Thema der Umstellung auf E-mobilität auf dem Weg

Auch das Thema der Umstellung auf Elektromobilität ist weitgehend auf dem Weg, bei allen Herausforderungen gerade im Bereich der Kapazitäten in der Batterieherstellung. Die Zulieferindustrie ist hiervon unterschiedlich getroffen, aber selbst bei bislang zu einem großen Teil vom Verbrenner und mechanischen Antriebsstrang abhängigen Zulieferern sind zumeist adäquate strategische und operative Neuorientierungen auf dem Weg. Dabei ist nicht zu übersehen, dass einige Zulieferer, insbesondere im Bereich der Herstellung mechanischer Teile mit geringen Margen, typischerweise Tier2 und Tier3, das Ziel nicht oder zumindest nicht als selbstständige Unternehmen erreichen werden. Die aus meiner Sicht größten Herausforderungen der Zukunft werden inzwischen wohl erkannt, aber noch nicht wirklich adressiert: - Die Veränderung in den Verbraucherpräferenzen, zu der die traditionellen USPs der deutschen Automobilindustrie wenig passen - Die Veränderung im Mobilitätsverhalten der Kunden, insbesondere in den Ballungsregionen dieser Welt Um diese Zukunftsthemen adressieren zu können, brauchen Hersteller und Zulieferer Know-how und die Mittel, in die notwendigen Technologien und Geschäftsprozesse zu investieren. Gerade die dringend benötigten Talente im Bereich Software/Elektronik/ Sensorik und Kommunikationstechnik werden auch in anderen, für junge Mitarbeiter oft attraktiver erscheinenden Industrien gesucht. Einfach gestricktes Employer Branding reicht nicht - attraktive Projekte und Perspektiven, aber auch z. B. glaubwürdige ESG-Strategien sind wichtig. Oft fehlt auch in der Transformation erfahrenes Management - interne Talentsuche und Weiterentwicklung, Integration auch von Quereinsteigern und auch Interim Manager als erfahrene Lotsen können hier helfen. Zunächst muss die aktuelle Krise überwunden werden. Diese stellt sich ganz anders dar als die Automobilkrise 2008/2009. Halfen damals radikale Kostensenkungsprogramme, um „back to normal“ zu kommen, wird es jetzt eine Rückkehr zum früheren Zustand kaum geben. Die Automobilhersteller erwirtschaften derzeit hohe Gewinne und Cash Flows. Gerade die deutschen OEMs sind auf einem Weg, die Zukunftstechnologien in-house auszubauen. Trotz deutlich größeren Ertragsdrucks gilt das auch für die großen und „systemrelevanten“ Zulieferer, die sich gegebenenfalls die notwendige Liquidität auch durch Trennung von Geschäftsbereichen verschaffen, die zukünftig nicht zum Kerngeschäft gehören. Eine Strategie, die auf deutlich bessere Resilienz abzielt, ist für alle angesagt. Das gilt besonders für die mittleren und kleineren Zulieferer und dort insbesondere für diejenigen, die ihren Schwerpunkt im Bereich der Verbrennertechnologie haben. Die meisten Unternehmen sind liquiditätsmäßig noch gut versorgt - aber das Auge der Banken wird kritischer. Insolvenzen sind derzeit noch rar, aber Unternehmen, die den Handlungsdruck vor dem Hintergrund eines bequemen Liquiditätskissens nicht in Aktion umsetzen, werden in existenzielle Probleme geraten. Für Unternehmen, die sich gut aufgestellt haben, werden sich Gelegenheiten zur Branchenkonsolidierung ergeben, auch für Private Equity-Investoren gegebenenfalls ein attraktives Feld. Zu einer Resilienz-Strategie gehört im operativen Bereich eine optimierte Kostensituation, auch bei den Overheads - Daimler zum Beispiel zeigt hier, wie man trotz „bequemer“ Ertragslage konsequent vorgeht, ein auch im Hinblick auf Risiken in der Supply Chain optimierter Footprint mit der Möglichkeit, durch schnell anpassbare Prozesse auf Veränderungen schnell zu reagieren, eine gut definierte Risikostrategie, auch unter Berücksichtigung der eigenen Lieferanten und eine stabile Finanzierungsstruktur. Die Coronakrise wird vergehen, die Supply Chains werden wieder besser funktionieren - und die Umstellung auf Elektromobilität verläuft in einer Geschwindigkeit, die den meisten Unternehmen der Branche die Anpassung oder zumindest einen Übergang in neue Unternehmensstrukturen erlauben. Deutsche Hersteller haben in der Vergangenheit deutliche Preisprämien erzielt - und diese aufgrund der Kostensituation auch benötigt. Die traditionellen USPs speziell deutscher Premiumfabrikate - Motorleistung, Straßenlage und Design spielen zumindest hinsichtlich der ersten beiden Punkte bei immer mehr Käufern in immer mehr Märkten eine geringere Rolle. Beim elektrischen Antrieb sind Anbieter anderer Regionen durchaus auf unserem Niveau - China hat das Rennen um die beste Verbrennertechnologie schon sehr früh aufgegeben und auf Elektromobilität gesetzt.

Autobezogene Dienstleistung entscheidend

Kaufentscheidender werden vor allem aber integrierte Kommunikations- und Unterhaltungstechnik, Navigation und automatisierte Fahrfunktionen sowie autobezogene Dienstleistungen. Dies ist von der deutschen Automobilindustrie erkannt - aber sie hat es hier mit sehr starken Wettbewerbern auch von den großen Plattform-Unternehmen wie Google zu tun. Kleinere OEMs haben das Rennen schon aufgegeben und setzen auf zugekaufte Technologie. Die deutschen Hersteller haben die Ressourcen, mit eigener Technologie oder auch in Kooperationen ihre Position zu verteidigen - aber das Rennen ist noch offen. Große Auswirkungen auf die Zukunft der Automobilindustrie wird nach meiner Einschätzung die Entwicklung des Mobilitätsverhaltens der Menschen haben. Es geht weniger darum, ein Auto zu besitzen und vorzuzeigen, sondern mobil zu sein. Das wird dazu führen, dass zumindest in den Ballungsräumen weniger Autos privat oder als Dienstfahrzeuge angeschafft werden. Individuelle Mobilität wird dann je nach Transportbedarf - innerstädtische, in der Freizeit, für Kurzstrecke, Langstrecke, durch Dienstleister und auch in Kombination mit anderen Verkehrsmitteln angeboten werden. Damit verändert sich für den Autohersteller aber der eigentliche Kunde. Dieser wird nämlich ein verhandlungsmächtiger Dienstanbieter sein - eine große Chance für Dienstleister wie zum Beispiel Sixt, aber auch eine Bedrohung für OEMs, die sich hier eigene Konzepte überlegen müssen. Diese Entwicklung wird in den unterschiedlichen Märkten verschieden schnell verlaufen, sodass man, wenn man sich rechtzeitig darauf einstellt, auch Zeit zur Anpassung hat - dieser aber auch nutzen muss.

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