In einem Gastbeitrag für das Fachportal "gi Geldinstitute" erläutert Dr. Dirk Friederich, Managing Partner, Boyden Germany, welche Fähigkeiten der Nachfolger des scheidenden Bundesbankpräsidenten Jens Weidmann haben sollte - und welche Kandidaten derzeit in Frage kommen und als erste benannt werden sollen.

By Dr. Dirk Friederich
Dr. Dirk Friederich

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Ursprünglich veröffentlicht auf: gi Financial institutions

Dr. Jens Weidmann, scheidender Präsident der Deutschen Bundesbank und Mitglied des EZB-Rats, entspricht von seinem Wesen her mit Sicherheit eher dem Typ Beamter als einem Politiker oder gar Bankchef beziehungsweise Manager. Freunde, Gegner, Mitarbeiter und Kollegen loben seine Auffassungsgabe, Manieren und absolute Loyalität.

Dr. Weidmann sei ein kluger, angenehmer und verschwiegener Mann, heißt es übereinstimmend. Die Chefin der europäischen Zentralbank (EZB), Christine Lagarde, nennt ihn einen „guten persönlichen Freund“. Auch die sich noch kommissarisch im Amt befindliche Bundeskanzlerin Angela Merkel verabschiedete ihn von seinem Posten im Kanzleramt im Frühjahr 2011 mit ungewöhnlich warmen Worten.

Der Volkswirt Dr. Jens Weidmann startete seine Karriere 1997 beim Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington, wird später Generalsekretär des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung und dann ein wichtiger Wirtschaftsmann im Kanzleramt Merkels sowie schließlich Bundesbankpräsident.

Ein Nachfolger benötigt mit Sicherheit die Persönlichkeit eines Dr. Weidmanns, um einen stabilitätsorientierten Kurs in der Geldpolitik sauber fortsetzen zu können. Dazu gehört ein aufmerksamer Blick auf die Zinspolitik der EZB sowie auch deren Programme zum Ankauf von Anleihen. Auch die Megatrends „Digitalisierung und Nachhaltigkeit“ müssen kraftvoll vorangetrieben werden, besonders an den Finanzmärkten. Dazu braucht es ebenfalls eine vertiefte Zusammenarbeit auf europäischer Ebene. Die Bundesbank ist aus gutem Grund eine unabhängige Institution und sollte nicht politisiert werden. Die zukünftige Bundesregierung muss daher mit der Besetzung des neuen Bundesbankpräsidenten ein starkes Stabilitätssignal geben.

Der Klimawandel wird sich zweifelsohne in den nächsten Jahren auf die Inflation und die Wachstumsrate in Europa auswirken. Dr. Weidmann mahnte hier seine Kollegen im Präsidium zur Vorsicht. Lagarde erhebt den Klimaschutz zum Ziel der Notenbank und riskiert dabei, sich auch ein wenig politisch instrumentalisieren zu lassen.

Weil die Schuldenbremse erst 2023 wieder greift, könnte sich der Staat im kommenden Jahr noch einmal ordentlich verschulden. Bis zu 500 Mrd. Euro, so denkt Prof. Marcel Fratzscher, der Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), könnten mobilisiert und in den kommenden Jahren für Klimaschutzinvestitionen ausgegeben werden. Selbst wenn die FDP sich im Wahlkampf gegen eine Schuldenrücklage ausgesprochen hat, dementiert bisher keine der drei Parteien, die die neue Regierung verhandeln, solche Überlegungen.

Die Frage nach den Kompetenzen des Nachfolgers ist sicherlich schwierig, aber absolut notwendig ist ein politisches Sachverständnis neben einer gewünschten starken Hand, die man entweder als Vorstand einer Bank oder in einem sehr hohen politischen Amt erworben hat. Insofern sind Erfahrungen als Bankvorstand und in der Politik definitiv Grundvoraussetzungen für eine Nachfolgebesetzung. Dass der Kandidat in der Öffentlichkeit bereits bekannt ist, ist weder ein Vor- noch ein Nachteil, allerdings ist es manchmal besser, mit frischen Ideen komplett unbelastet in ein Amt einzutreten. Es wird eine Challenge, den passenden Kandidaten für dieses Amt zu finden, da durch die aktuellen wirtschaftlichen Geschehnisse und eine neue Bundesregierung herausfordernde Zeiten – und das nicht nur auf Deutschland – zukommen werden.

Die Frage, wer auf Dr. Weidmann folgt, ist nicht leicht zu beantworten, da viele Faktoren – beispielsweise auch das Thema Diversity – eine Rolle spielen. Mögliche Kandidaten gibt es demnach viele, allerdings würde man derzeit wohl vier Personen als erste nennen:

Isabel Schnabel:

Die Ökonomin, seit 2020 Direktorin der Europäischen Zentralbank (EZB), wurde sofort nach Dr. Weidmanns Rücktritt als naheliegende Kandidatin genannt. Die 50-Jährige hatte es als Professorin in Bonn geschafft, junge Leute für wirtschaftliche Themen zu begeistern. Schon vor ihrem Eintritt in die EZB hatte sie sich als Expertin für geldpolitische Themen einen Namen gemacht, außerdem war sie „Wirtschaftsweise“ von 2014 bis 2019.

Schnabel gilt als Schwergewicht bei Diskussionen im EZB-Rat und wird auch von Investoren als wesentliche Stimme wahrgenommen. Die Dortmunderin ist nicht eindeutig dem Lager einer weichen („Tauben“) oder harten Geldpolitik („Falken“) zuzuordnen. Das könnte sie für verschiedene politische Lager annehmbar machen.

Seit ihrem Amtsantritt hat Schnabel de facto eine Rolle übernommen, die eigentlich die des Bundesbank-Chefs ist: der deutschen Öffentlichkeit die Geldpolitik der EZB zu erklären. Für Dr. Weidmann war das schwierig, weil er oft mit der Linie der Mehrheit im EZB-Rat über Kreuz lag. Schnabel dagegen hat diese Linie bisher im Wesentlichen mitgetragen. Das schließt nicht aus, dass sie nach dem Abklingen der Pandemie stärker Farbe bekennen und sich klar dazu positionieren muss, wie eine Normalisierung der Geldpolitik aussehen sollte.

Prof. Dr. Claudia Buch:

Die Vize-Präsidentin der Bundesbank versteht sich in ihrer bisherigen Rolle in erster Linie als Wissenschaftlerin. Ihr ist es eine Herzensangelegenheit zu beweisen, dass empirische Untersuchungen und die genaue Auswertung von Daten zur Versachlichung und Verbesserung von Entscheidungen beitragen können. Die Aufbereitung von Informationen und der Austausch mit den Banken sind daher für die 55-Jährige wichtige Themen.

Dazu passt, dass die Ökonomin vor Antritt bei der Bundesbank 2014 an mehreren Unis tätig war und hochrangigen Gremien angehörte, darunter auch dem Sachverständigenrat der „Wirtschaftsweisen“. Für Prof. Dr. Buch würde sprechen, dass sie die Institution bestens kennt. Außerdem ist ihre bisherige Rolle dort als Expertin für Finanzstabilität interessant. Dieses Thema spielt eine zunehmende Rolle und ist nach der neuen Strategie der EZB noch stärker als bisher in die Geldpolitik integriert. Dieses Spezialgebiet wäre im Übrigen aber auch ein gutes Argument für einen Sitz im EZB-Direktorium.

In der Öffentlichkeit ist die Paderbornerin weniger bekannt, und in der Bundesbank selbst ist ihre Rolle nicht unumstritten. Sie gilt im besten Sinne als „unpolitisch“, damit aber auch nicht unbedingt als eine Kandidatin, die kraftvoll Standpunkte und Interessen nach außen oder in der EZB vertreten würde. In einer Institution mit starkem Traditionsbewusstsein ist dieser Punkt aber nicht zu unterschätzen.

Dr. Jörg Kukies:

Der Ökonom ist seit 2018 Staatssekretär im Finanzministerium und schon lange in der SPD aktiv, zeitweise auch als Juso-Vorsitzender in Rheinland-Pfalz. Insofern könnten sich aus den Koalitionsverhandlungen für ihn neue Chancen, aber auch Probleme ergeben.

Prägend für ihn ist seine Zeit bei Goldman Sachs. Er hat dort ab dem Jahr 2000 gearbeitet, zunächst in London, zehn Jahre später wurde er Co-Chef des deutschen Ablegers der US-Investmentbank. Dr. Kukies, der für seine offene, umgängliche Art bekannt ist, war bei Goldman in erster Linie Kapitalmarktexperte, was für die Geldpolitik sicher ein wichtiger Erfahrungsschatz ist.

Auf der anderen Seite war er nie Notenbanker und hat sich – anders als etwa Isabel Schnabel – auch nicht wissenschaftlich herausragend mit dem Thema beschäftigt. Nicht zu unterschätzen ist allerdings, dass ein Bundesbank-Präsident auch Chef einer großen Behörde ist. Dabei könnten dem 53-Jährigen seine Erfahrungen als Bankvorstand und in der Politik zugutekommen.

Prof. Marcel Fratzscher:

Der DIW-Chef ist einer der bekanntesten Ökonomen in Deutschland. Das verdankt er einer hohen Schlagzahl bei wissenschaftlichen Veröffentlichungen, aber auch einer nahezu permanenten Präsenz auf Twitter. Vor seinem Amtsantritt beim DIW 2013 hat er fünf Jahre lang die Abteilung für internationale wirtschaftliche Analysen bei der EZB geleitet, kann somit auch praktische Erfahrung in der Notenbank vorweisen.

Prof. Fratzscher, 50, äußert sich häufig zu politischen Themen und liegt dabei recht deutlich auf einer Linie, die eher der SPD als zum Beispiel der FDP gefallen dürfte. Die EZB hat er häufig gegen Angriffe verteidigt und Inflationsängste immer wieder sehr plastisch als übertrieben dargestellt. Diese eindeutige Profilierung kann je nach Dynamik des Auswahlprozesses ein Vor- oder auch ein Nachteil sein.

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