Der CIO muss sich innerhalb des Unternehmens neu positionieren. Sonst läuft er Gefahr, zum Chief Legacy Officer abgestempelt zu werden, sagt Patrick Naef im Interview.

By Mark Schröder

Die Rolle des CIOs ist im Wandel begriffen. Wenn die IT zum Kern eines jeden Geschäfts wird, kann der IT-Leiter sich nicht ausschliesslich um den Betrieb der Computer und Server kümmern. Wie der langjährige CIO und heutige Digitalisierungsberater Patrick Naef im Interview erklärt, laufen seine Kollegen anderenfalls Gefahr, zum Chief Legacy Officer degradiert zu werden.

Computerworld: Wie verändert die Technologie die Unternehmen?

Patrick Naef: Die Chancen, die der technologische Wandel mit sich gebracht hat, waren schon immer immens. Technologie hat nicht nur die Produktivitätssteigerung in buchstäblich jeder erdenklichen Branche ermöglicht, sondern sie hat auch dazu beigetragen, völlig neue Branchen zu schaffen und etablierte Branchen zu verändern. Für innovative Personen und Unternehmen war es immer eine der grössten Quellen der Inspiration und Innovation, sich technologische Errungenschaften zu Nutze zu machen und nach Möglichkeiten zu suchen, diese auf ein Unternehmen anzuwenden und zu kommerzialisieren. Sehr oft werden das wahre Potenzial und der Wert einer neuen Technologie erst Jahrzehnte nach ihrer Erfindung entdeckt.

CW: Können Sie bitte ein Beispiel nennen?

Naef: Gerne. Als im Jahre 1947 in den Bell Laboratories in Murray Hill, New Jersey, der Transistor erfunden wurde, dachte niemand daran, dass er eines Tages den Kern der eines Smartphones sein würde, die jeder von uns in der eigenen Hosentasche trägt und die unsere gesamte Gesellschaft revolutioniert hat. Als die Gebrüder Wright im Dezember 1903 den ersten motorisierten Flug wagten – eigentlich war es ja eher ein Hüpfer von 37 Metern Länge der nur 12 Sekunden dauerte –, hätte niemand gedacht, dass zehn Jahre später die erste kommerzielle Fluggesellschaft zur Personenbeförderung abhebt, und damit die Geburtsstunde einer ganz neuen Branche stattfinden würde.

CW: Haben Sie jüngst eine Entwicklung mit vergleichbarem Potenzial gesehen?

Naef: Vieleicht nicht im selben Ausmass. Allerdings scannen und erkunden innovative Unternehmen den Markt ständig nach Technologien, die helfen können, ihre Produkte oder Dienstleistungen zu verbessern oder neue zu schaffen, beziehungsweise Prozesse effizienter zu gestalten oder sogar vollständig zu eliminieren. Interessanterweise wurde die IT lange Zeit in etablierten Unternehmen hauptsächlich dazu eingesetzt, um Effizienzen zu steigern, Prozesse zu automatisieren und Lieferketten zu optimieren. Nur in seltenen Fällen hat sie Einzug in die Kernprodukte und Dienstleistungen gefunden.

So führte American Airlines, um bei der Luftfahrtindustrie als Beispiel zu bleiben, Anfang der 1950er Jahre, das erste elektronische Buchungssystem ein, um ihre internen Prozesse zu optimieren. Es dauerte jedoch nochmals mehr als 50 Jahre, bis Flugpassagiere relevante reisebezogene Informationen auf digitalem Wege nahtlos abrufen konnten. Und das ist auch heute noch nicht selbstverständlich. Für viele Reisende ist die mobile App genauso Teil des «Produkts» oder des Reise-Erlebnisses geworden, wie der Sitzplatz oder das Essen und der Service an Bord des Flugzeuges.

Ebenso sind für den Besitzer eines modernen Elektroautos die digitale Interaktion, die Upgrade-Möglichkeit usw. des Fahrzeugs ebenso Teil des Produkts wie die Sitze und die physische Karosserie des Autos. Dadurch, dass mehr und mehr Funktionen und Komponenten eines physischen Produkts in Software wandern, und damit virtualisiert werden und zusätzliche digitale Dienstleistungen rund um das Produkt angeboten werden, die seine Funktionalität verbessern und erweitern, wird die IT selbst zu einem Kernstück des Produkts.

CW: Welche Bedeutung hat dieser Wandel für die IT-Abteilung?

Naef: Die Umstellung oder Kombination von traditionell physischen Kernprodukten oder Dienstleistungen hin zu digitalen Komponenten hat dazu geführt, dass die IT nicht mehr nur als Backoffice- oder Support-Funktion betrachtet werden kann, die für den Betrieb des ERP-Systems und die für Verwaltung von PCs und Netzwerken zuständig ist. Die IT wird zu einem Kernelement jedes Unternehmens und viel mehr zu einer strategischen Komponente als zu einer Support-Einheit. Das bedeutet auch, dass die IT nicht mehr rein als Kostenfaktor betrachtet werden kann – im Gegenteil, sie trägt nun zur zentralen Wertschöpfung der Produkte und Dienstleistungen bei.

CW: Wenn die IT – wie vielenorts – als Kostenstelle eingeordnet ist, wird die Betrachtung schwierig.

Naef: Korrekt. Die IT wurde in der Vergangenheit hauptsächlich an den Kosten gemessen. Ein guter CIO war derjenige, der die Kosten jährlich senken konnte. In Zukunft müssen sich CIOs darauf konzentrieren, wie die IT einen Mehrwert für das Unternehmen, sprich, für die Kernprodukte und -dienstleistungen schaffen kann, somit Umsatz generieren und die Wertschöpfung für das Kundenerlebnis steigern kann. CIOs werden daher vermehrt an dem Mehrwert der IT gemessen werden und nicht mehr nur an den Kosten.

Dies wiederum erfordert, dass CIOs strategischer und businessorientierter denken. Ein moderner CIO muss unternehmerischer und weniger operativ sein, also auch weniger risiko- oder kostenorientiert. CIOs, die diesen Sprung nicht schaffen, laufen Gefahr, irrelevant zu werden. Sie verwalten am Ende alte IT-Systeme und laufen Gefahr, zum Chief Legacy Officer zu verkommen.

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Die vollständige Geschichte wurde zuerst hier veröffentlicht.

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